„Gemeinsam für ein sicheres Leben“, titelte ein deutscher Hersteller kürzlich in einer der zahlreichen Pressemeldungen, die auf unseren Redaktionsschreibtischen täglich aufschlagen. Von „Sturzüberwachung“ und „Hilferuf“ war da zu lesen. Bei Begriffen wie diesen erfasst wohl die Mehrheit von uns ein Gefühl des Unbehagens. Aber je älter wir selbst werden oder unsere Eltern und Großeltern heute schon davon betroffen sind, in einer möglichst gewohnten Umgebung würdevoll altern zu wollen, desto eher müssen wir uns diesem Thema beschäftigen. Das Schlagwort, das man sich dazu merken sollte, heißt: „Ambient Assisted Living“, kurz AAL. Wir sind dem auf den Grund gegangen.
Die aktuelle Alterspyramide der österreichischen Bevölkerung lässt nichts Gutes erwarten. Die damit in Verbindung stehende demografische Entwicklung in Österreich zeigt, dass der Anteil der älteren Bevölkerung stetig wächst. Ein bedrohliches Szenario in Anbetracht der verhältnismäßig geringen Anzahl an zur Verfügung stehenden Betreuungs- und Pflegeplätzen in Österreich.
Babyboomer stellen das System auf die Belastungsprobe
Laut den Prognosen von Statistik Austria wird der Anteil der Menschen über 65 Jahre in den nächsten Jahren weiter zunehmen – die Generation „Babyboomer“ lässt grüßen. Derzeit sind etwa 19,9 % der Bevölkerung in Österreich 65 Jahre und älter, und dieser Anteil wird bis 2100 auf etwa 29,1 % ansteigen (Quelle: Statistik Austria).
Die ständig steigende Alterung der Bevölkerung bedeutet, dass in den kommenden Jahren immer mehr Menschen in die Situation kommen werden, in der Pflegebedürftigkeit wahrscheinlicher wird. Der demografische Wandel und die steigende Lebenserwartung tragen dazu bei, dass der Bedarf an Pflege- und Betreuungsdiensten erheblich zunehmen wird. Bereits heute leben rund 1,8 Millionen Senioren in Österreich, und ihre Zahl wird aufgrund der demografischen Trends weiter steigen.
Es ist daher zu erwarten, dass die Anzahl der pflegebedürftigen Menschen in Österreich in den kommenden Jahren signifikant zunehmen wird. Um diese Herausforderung zu bewältigen, sind umfangreiche Anpassungen im Pflegesystem sowie in der Infrastruktur erforderlich. Es wird entscheidend sein, rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen, um die Pflegekapazitäten zu erweitern und die Qualität der Pflege sicherzustellen.
„Man braucht auch nicht unbedingt einen Roboter. Simple AAL-Lösungen tun es auch“
Zu Hause oder im Seniorenhaus?
Menschen mit Vorausblick bitten ihre Eltern und Großeltern in der Regel, darüber nachzudenken, rechtzeitig in ein Seniorenhaus umzuziehen – oft vergeblich. Zu sehr sind Menschen der Generation 60+ an ihre Umgebung gewöhnt, haben Angst vor Veränderungen oder benennen andere Gründe, um dort bleiben zu können, wo sie viele Jahre ihres Lebens glücklich waren: zu Hause. Abgesehen davon wird es in Anbetracht der demografischen Entwicklung aller Wahrscheinlichkeit nach künftig auch gar nicht möglich sein, für die immer größer werdende Zahl an alternden Menschen genügend betreute Plätze zur Verfügung zu stellen.
Forschung und Förderung als Teil der Lösung?
Dass es an der Zeit ist, jetzt schon an den Rädchen zu drehen, ist auch der österreichischen Bundesregierung bewusst. So bietet die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) im Rahmen des „Ambient Assisted Living (AAL) Programms“ Fördermittel für die Entwicklung von Technologien und Dienstleistungen, die die Lebensqualität älterer Menschen verbessern. Gefördert werden Projekte, die Informations- und Kommunikationstechnologien nutzen, um älteren Menschen ein selbstständiges Leben im privaten Umfeld zu ermöglichen.
„Es wurde ein System entwickelt, das die Privatsphäre der Anwender schützt“
Ein europäisches Forschungsprojekt, das die Betreuung von Senioren durch einen „sozialen Roboter“ unterstützt, hat den Namen „Guardian“. Der Roboter interagiert mit älteren Menschen, gibt Erinnerungen an wichtige Aktivitäten und überwacht ihr Wohlbefinden. Er ist mit Apps für Pflegekräfte verbunden und erleichtert so die Kommunikation und Routineaufgaben. Dies reduziert den Stress und die Belastung sowohl für formelle als auch informelle Pflegekräfte und ermöglicht es Senioren, länger unabhängig in ihrem eigenen Zuhause zu leben.
AAL-Lösungen gibt es bereits jetzt
Die gute Nachricht: Man muss nicht unbedingt auf Forschungsergebnisse warten. Man braucht auch nicht unbedingt einen Roboter. Lösungen, die es Angehörigen oder Pflegediensten ermöglichen, auf den Zustand von Betroffenen in ihrem Umfeld bis zu einem gewissen Grad Rückschlüsse ziehen zu können, stehen bereits heute zur Verfügung. Diese Technologien helfen älteren oder pflegebedürftigen Menschen im Alltag und reichen von einfachen Mobiltelefonanpassungen bis zu komplexen Smart-Home-Systemen.
„Keine Sorge: Man muss dafür keine Mauern aufstemmen.“
Eines der am Markt bereits erhältlichen intelligenten Pakete kombiniert ein Smart-Home-System, das sich leicht installieren lässt und viele Funktionen bietet, mit einem speziellen Fußbodensystem. Letzteres kann man sich als eine dünne Matte mit integrierten Sensoren vorstellen, die unter Bodenbelägen wie Laminat, PVC oder Parkett problemlos verlegt werden kann. Um die Funktion zu gewährleisten, können Matten wie diese aber auch nachträglich am Boden verlegt werden. Die Sensoren erkennen Bewegungen und registrieren, ob jemand steht, geht oder gestürzt ist. Bei einem Sturz wird automatisch Hilfe gerufen. Das System kann aber auch mit anderen Smart-Home-Geräten verbunden werden, um Funktionen wie Beleuchtung zu steuern und Bewegungsmuster zu speichern. Diese Form der Vernetzung kann auch zur Sicherheit beitragen, indem es Eindringlinge erkennt oder anhand von Aktionsreihen das Leben der Betroffenen erleichtert. Apropos Betroffene – sie kommunizieren mit dem System mit Hilfe einer Sprachsteuerung. Dabei wurde auf ein Smart-Home-System gesetzt, das die Privatsphäre der Anwender schützt und ein Sprachsteuerungssystem entwickelt, das ohne Internetverbindung arbeitet. Die Sprachanalyse und die Ausführung der Befehle erfolgen direkt auf dem Gerät, wodurch die Daten privat bleiben. Der Sprachassistent zeichnet nichts auf und überträgt auch nichts, da die Sprachsteuerung komplett lokal auf dem Gerät läuft.
AAL-Basispaket um rund 1.000 Euro Warenwert
Wer es noch einfacher gestalten will, dem empfehlen Fachleute, auf eine Kombination aus Bewegungs- und Präsenzmeldern zu setzen, deren Informationen wiederum von einfachen, funkbasierenden Smart-Home-Systemen ausgewertet werden, wodurch das System im Ernstfall reagiert. „Es sind die Routinen der Bewohner, auf die wir aufsetzen. Wenn diese von den tagtäglich gelebten Abläufen abweichen, dann setzt das System eine Meldung an eine Person oder eine Stelle ab, die dann auch reagieren können“, lässt der Experte die SmartGyver-Redaktion wissen. Er nimmt den Betroffenen auch die Angst vor großen Umbaumaßnahmen: „Man muss dafür keine Mauern aufstemmen. Die Melder können ohne Anschluss an die Stromversorgung montiert werden – sie werden von Batterien versorgt und sind per Funk miteinander vernetzt.“ Sie sind somit nicht nur mit geringem Aufwand bei der Installation verbunden, sondern auch zu moderaten Preisen erhältlich: „Für einen Lebensraum von rund 50 m² kann man mit Materialpreisen von rund 1.000 Euro für ein Basispaket rechnen.“
„Die Häufigkeit des Toilettengangs macht es aus“
Handwerklich einigermaßen geschickte Menschen sind in der Lage, diese Lösungen auch selbst zu installieren und zu konfigurieren. Das ist vor allem auch deswegen möglich, weil es kein Eingriff in die elektrotechnische Anlage ist – denn in so einem Fall darf nur der Elektriker ran ans Werk. Aber wer weder Zeit, Lust noch das Können hat, derartige Systeme in Eigenregie zu errichten, dem stellt der Anbieter auch den Kontakt zu Handwerkern her, die darauf spezialisiert sind, derartige Lösungen umzusetzen.
Ungewöhnliche Verhaltensmuster schlagen Alarm
Andere Anbieter setzen darüber hinaus auf den Einsatz von Tür- und Fensterkontakten. Sie können auf Notfälle hinweisen, beispielsweise wenn ein Hundebesitzer morgens und abends nicht wie gewohnt mit dem Hund rausgeht. Bleibt die Eingangstür bis 12:00 Uhr unbenutzt, wird automatisch eine Push-Notification als Notruf gesendet.
„AAL-Lösungen bieten älteren Menschen ein sichereres und selbstbestimmteres Leben in ihrem Zuhause“
Darüber hinaus werden sogenannte Schwellenwerte genutzt, um individuelle Verhaltensmuster zu beobachten. Beispielsweise kann für einen älteren Bewohner, der normalerweise ein- bis zweimal nachts die Toilette aufsucht, ein Schwellenwert von vier festgelegt werden. Erkennt der Präsenzmelder mehr als vier nächtliche Bewegungen, informiert das System den Pfleger oder die Angehörigen auf eine vorher definierte Art.
Wie Betten, Stühle und Haushaltsgeräte das Leben erleichtern
AAL-Systeme bieten künftig darüber hinaus noch Möglichkeiten, den Alltag älterer Menschen sicherer und komfortabler zu gestalten. So können intelligente Möbel und Haushaltsgeräte integriert werden, um die Lebensqualität zu verbessern und gesundheitliche Risiken zu minimieren.
Studien belegen, dass Möbel künftig eine zentrale Rolle in modernen AAL-Systemen spielen werden. Beispielsweise können Betten und Stühle mit Sensoren ausgestattet werden, die Position und Bewegungen der Nutzer überwachen. Dies ermöglicht eine präzise Erkennung, wenn jemand aufsteht oder sich hinsetzt. Mittlerweile liefern Sensoren aber weit mehr als die üblichen Daten. Nun sind sie auch in der Lage, die Schlafqualität zu analysieren, indem sie die Bewegungen während des Schlafs überwachen. So erhalten Betreuer oder Familienangehörige wertvolle Informationen über das Wohlbefinden und mögliche gesundheitliche Probleme des Nutzers.
Auch Badezimmermöbel wie Toiletten und Waschbecken lassen sich in AAL-Systeme einbinden. Sensoren können hier überwachen, wie oft und wie lange sie benutzt werden. Diese Daten können darüber hinaus Hinweise auf gesundheitliche Probleme wie Harnwegsinfektionen liefern, indem ungewöhnliche Nutzungsmuster erkannt und entsprechende Alarme ausgelöst werden.
„Die Bedienung derartiger Systeme muss besonders intuitiv gestaltet werden, damit sie ältere Menschen nutzen können und wollen.“
Neben Möbeln spielen schließlich auch Haushaltsgeräte eine wichtige Rolle in AAL-Systemen. Smart-TVs und andere Unterhaltungssysteme sind in der Lage, zu analysieren, wie häufig sie genutzt werden. Ein plötzlicher Rückgang der Nutzung könnte auf gesundheitliche Probleme oder Depressionen hinweisen, was wiederum rechtzeitig Gegenmaßnahmen ermöglicht.
Last but not least stellen auch intelligente Lichtsysteme einen Teil der Lösung dar. Sie können erkennen, wann und wie oft das Licht ein- und ausgeschaltet wird, und passen die Beleuchtung automatisch je nach Tageszeit oder Aktivität an. Dies sorgt nicht nur für Energieeinsparungen, sondern auch für eine komfortablere und sicherere Wohnumgebung.
Insgesamt tragen diese intelligenten Möbel und Geräte dazu bei, das Leben älterer Menschen sicherer und angenehmer zu gestalten. Durch die Integration in AAL-Systeme wird eine umfassende Überwachung und Unterstützung ermöglicht, die gesundheitliche Risiken minimiert und die Lebensqualität deutlich erhöht.
Ein Resümee
Zusammen ermöglichen diese Technologien älteren Menschen ein sichereres und selbstbestimmteres Leben in ihrem Zuhause, ohne dass sie ihre Privatsphäre frühzeitig aufgeben müssen. Die Kooperation der verschiedenen Systeme bietet ein umfassendes und benutzerfreundliches Paket für das Wohnen im Alter.
Studien zeigen allerdings auch, dass ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich ist, um qualitatives Altern zu fördern. Dies beinhaltet die Berücksichtigung ethischer, sozialer, politischer und technischer Aspekte, um ein positives und unterstützendes Umfeld für ältere Menschen zu schaffen. Die Technologiebewertung spielt eine Schlüsselrolle bei der Identifizierung und Umsetzung dieser Bedingungen.
Nur wo ein Wille ist, ist auch ein Weg
Und eines muss in Anbetracht der Technik, die zur Verfügung steht bzw. in der Zukunft stehen wird, klar festgehalten werden: Die Angst, mit den Systemen nicht umgehen zu können und Fehler zu machen, ist bei vielen Menschen allgegenwärtig – vor allem in der Altersgruppe 60+. Deshalb muss die Bedienung derartiger Systeme besonders intuitiv gestaltet werden, sodass keine umfangreichen technischen Vorkenntnisse erforderlich sind. Denn ein System kann noch so innovativ sein. Wenn es von der potenziellen Anwendergruppe abgelehnt wird, hat man am Ziel klar vorbeigeschossen.