Wiederverwenden statt wegwerfen: Elektromobilität weltweit

Gigantische Narben in der Landschaft: Der Tagbau von Rohstoffen hinterlässt tiefe Spuren – hier wird sichtbar, welchen Preis der Abbau wertvoller Rohstoffe für Mensch und Natur hat. Foto: ©www.SmartGyver.at/Midjourney
Der Inhalt im Überblick:
  • Kreislaufwirtschaft bedeutet: Komponenten reparieren, wiederaufbereiten, recyceln – und so lange wie möglich nutzen.


  • Fraunhofer-Institute entwickeln konkrete Technologien, um Motoren und Batterien effizient zu zerlegen, Materialien zurückzugewinnen und Bauteile wiederzuverwenden.


  • Renault zeigt mit „Advanced Battery Storage“, dass Second-Life-Batterien schon heute im Megawatt-Maßstab arbeiten.


  • Der Nutzen ist klar: Weniger Abhängigkeit von Rohstoffgiganten, mehr Nachhaltigkeit, geringere Kosten – und ein zukunftsfähiger Umgang mit begrenzten Ressourcen.


  • Rohstoffknappheit trifft auf neue Ideen – Warum wir umdenken müssen


Elektromotoren und Fahrzeugbatterien sind wahre Schatzkammern – voll mit Materialien wie Kupfer, Aluminium, Lithium, Kobalt oder Seltenerdmetallen. Am Stammtisch heißt es oft: „Diese Rohstoffe sind ein großes Problem.“ Ja, sie sind kostbar, endlich und oft politisch sensibel. Aber genau darin liegt auch eine enorme Chance. Denn in Forschungslaboren und Industriewerken entstehen derzeit Systeme, die aus diesen „Problemen“ Ressourcen für die Zukunft machen. Und manche davon sind längst im Einsatz.

 

Die Elektromobilität boomt – und mit ihr der Bedarf an bestimmten Rohstoffen. Lithium, Kobalt, Nickel und Neodym sind nicht nur begrenzt verfügbar, sondern stammen oft aus Regionen mit geopolitischen Risiken. China, Russland oder die Demokratische Republik Kongo haben teils eine marktbeherrschende Stellung bei der Förderung oder Weiterverarbeitung dieser Materialien. Das macht die Lieferketten anfällig und treibt die Preise.

 

Die übliche Kritik lautet: „Elektroautos sind doch nur neue Ressourcenfresser.“ Doch diese Sicht übersieht einen entscheidenden Punkt: Im Gegensatz zu fossilen Brennstoffen wie Benzin oder Diesel, die bei der Verbrennung unwiederbringlich verloren gehen, kann der Strom für Elektrofahrzeuge zu einem sehr hohen Anteil aus erneuerbaren Energien stammen – in Österreich liegt dieser Anteil bereits bei über 80 Prozent. Damit wird nicht nur der Betrieb sauberer, sondern auch der Energiefluss selbst ist Teil eines Kreislaufs.

 

Und während in klassischen Verbrennerfahrzeugen viele Bauteile – etwa ein Katalysator – am Ende ihrer Lebensdauer selten ausgebaut und getrennt eingeschmolzen oder entsorgt werden, lassen sich Batterien und Elektromotoren gezielt zerlegen, ihre Materialien rückgewinnen und teilweise sogar ganze Komponenten wiederverwenden. Antriebe und Energiespeicher werden so zu Rohstoffdepots, die am Ende des Fahrzeuglebens erneut in den Produktionskreislauf einfließen können.

 

Genau hier setzt die Kreislaufwirtschaft an. Sie verfolgt das Ziel, Produkte und Materialien so lange wie möglich im Umlauf zu halten. Reparieren, überholen (Refurbish), wiederaufbereiten (Remanufacture) und recyceln sind ihre Kernprinzipien. Entscheidend ist dabei, dass schon beim Produktdesign an eine spätere Zerlegung und Wiederverwertung gedacht wird – das sogenannte „Design for Recycling“.

 

Fraunhofer-Forschung: Vom Labor in die Praxis

Elektromobilität

Wie lassen sich Schraubverbindungen schnell und effizient lösen, auch wenn die Komponenten verschmutzt oder abgenutzt sind? Das Fraunhofer Institut liefert Antworten. Foto: ©Fraunhofer IWU

 

In Chemnitz arbeitet das Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU daran, Elektromotoren, Getriebe und Batteriesysteme so zu gestalten, dass sie am Ende ihres Lebenszyklus nicht zum Entsorgungsproblem werden. Mit Projekten wie „Ekoda“ entstehen KI-gestützte Demontagesysteme, die Schraubverbindungen automatisch erkennen, selbst bei verschmutzten oder abgenutzten Bauteilen lösen und ganze Module zerstörungsfrei entnehmen können. Ziel ist es, Komponenten möglichst lange nutzbar zu halten – entweder in ihrer ursprünglichen Funktion oder als wiederverwendete Bauteile in neuen Produkten.

 

Parallel dazu konzentriert sich das Fraunhofer-Institut für Wertstoffkreisläufe und Ressourcenstrategie IWKS in Hanau und Alzenau auf die Rückgewinnung wertvoller Materialien. Besonders im Fokus stehen Permanentmagnete aus Elektromotoren, die Seltene Erden wie Neodym enthalten. Mit dem Zentrum ZDR-Emil verfügt das IWKS über eine spezialisierte Einrichtung, in der innovative Demontage- und Recyclingverfahren für E-Mobilitätskomponenten entwickelt und getestet werden.

 

Das Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM bringt seine Kompetenz in der Batteriediagnose ein. Mit präzisen Mess- und Analyseverfahren lässt sich der State of Health (SoH) einer Batterie bestimmen – also ihr tatsächlicher Gesundheitszustand. So kann entschieden werden, ob ein Energiespeicher recycelt oder im Rahmen eines Upcyclings für eine neue, oft weniger anspruchsvolle Aufgabe weiterverwendet werden kann.

 

Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE schließlich entwickelt Konzepte, um Second-Life-Batterien in anspruchsvollen Anwendungen wie Schnellladeinfrastrukturen einzusetzen. Ein Schwerpunkt liegt auf dem Thermomanagement, um die Lebensdauer dieser Speicher zu verlängern und ihre Leistungsfähigkeit auch unter hoher Belastung zu sichern.

 

Zusammengenommen entsteht so ein ganzheitlicher Ansatz: vom einfachen Zerlegen über die gezielte Rückgewinnung einzelner Materialien bis hin zur Integration gebrauchter Komponenten in neue technische Systeme.

 

Second-Life in Aktion – Das Beispiel Renault

 

Dass diese Ansätze nicht nur Theorie sind, zeigt der Fahrzeughersteller Renault mit dem Projekt „Advanced Battery Storage“ (ABS). In Frankreich und anderen europäischen Ländern stehen bereits Anlagen, die gebrauchte und neue Batterien aus Elektrofahrzeugen zu einem stationären Energiespeicher mit einer Kapazität im zweistelligen MWh-Bereich und darüber hinaus kombiniert.

 

Das Ziel: Überschüsse aus erneuerbaren Energien zwischenspeichern und bei Bedarf ins Netz zurückspeisen. Damit hilft ABS, Schwankungen im Stromnetz auszugleichen – eine Schlüsselaufgabe, wenn Solar- und Windenergie stärker ins Energiesystem eingebunden werden.

 

Renault plant, die Systeme auszubauen und an weiteren Standorten zu installieren. Die Projekte werden gemeinsam mit Partnern wie The Mobility House, der Banque des Territoires und staatlichen Stellen umgesetzt. ABS zählt damit zu den größten stationären Energiespeichersystemen Europas, das auf Batterien aus Elektrofahrzeugen setzt. Und es beweist: Second-Life-Batterien sind keine Zukunftsmusik, sondern bereits heute Teil der Energiewelt.

 

Warum Kreislaufwirtschaft jetzt entscheidend ist

 

Der Nutzen einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft ist dreifach: Erstens verringert sie die Abhängigkeit von politisch heiklen Rohstoffquellen. Zweitens senkt sie die ökologischen und ökonomischen Kosten, die bei der Neugewinnung von Materialien entstehen. Drittens stärkt sie die Resilienz unseres Energiesystems, indem sie Materialien verfügbar hält, statt sie unwiederbringlich zu verlieren.

 

Mit Reparatur, Refurbishment, Second-Life und Recycling entsteht ein geschlossener Rohstoffkreislauf – ein Konzept, das in der Geschichte der Technik in dieser Konsequenz noch nie umgesetzt wurde. Die Elektromobilität ist dabei nicht das Problem, sondern der Treiber für diesen Wandel.

 

Kreislaufwirtschaft in der Elektromobilität: Ein weltweites Netzwerk an Lösungen

 

Diese Beispiele sind nur die Spitze des Eisbergs. Weltweit arbeiten Forschungsinstitute, Start-ups und Industrieunternehmen an Konzepten, die den gesamten Lebenszyklus von Elektromotoren und Batterien neu denken – von der ersten Skizze im Konstruktionsbüro bis zum letzten Handgriff beim Recycling. Neben den hier genannten Leuchtturmprojekten existieren unzählige weitere Initiativen, die ähnliche Technologien erproben oder bereits im Einsatz haben: modulare Batteriedesigns, automatisierte Zerlegeanlagen, hocheffiziente Rückgewinnungsverfahren für Seltene Erden, Second-Life-Speicher in Wind- und Solarparks, Wiederaufbereitung von Antriebskomponenten in Remanufacturing-Zentren. Zusammen bilden sie ein globales Netz von Lösungen, das zeigt: Die Kreislaufwirtschaft in der Elektromobilität ist keine Vision – sie ist ein weltweiter Trend, der jeden Tag an Fahrt gewinnt.

 

Schlussgedanken

 

Die Diskussion um Rohstoffe für die Elektromobilität ist oft von Skepsis geprägt – nicht selten zu Recht. Aber der Blick auf die Forschung und die Projekte in der Industrie zeigt: Wir sind nicht auf dem Weg in eine Sackgasse, sondern in einen Kreislauf. Technologien wie die des Fraunhofer-Netzwerks oder Projekte wie Renaults Advanced Battery Storage beweisen, dass wertvolle Materialien nicht verloren gehen müssen.

 

Vielleicht liegt die eigentliche Revolution der Elektromobilität gar nicht in der Antriebsart selbst – sondern darin, wie sie uns zwingt, Ressourcen intelligenter zu nutzen als je zuvor.

 

Weitere Second-Life-Projekt-Beispiele aus der ganzen Welt

 

  • TREASoURcE (EU): Zwei Demonstrationsstandorte in Finnland und Norwegen zeigen Second‑Life-Batteriespeicher (BESS) zur Zwischenspeicherung von Sonnenenergie – z. B. 120 kWh in Norwegen, 80 kWh in Finnland.
  • Einride (Schweden): Bereits 2024 nutzt Einride ausgemusterte Batterien ihrer E‑Lkw bei Smartcharger-Stationen in Rosersberg/Stockholm als stationäre BESS — zur Unterstützung nachhaltiger Ladeinfrastruktur.
  • Volvo + Connected Energy (UK): Installationen von 300 kW Second‑Life‑Speichersystemen (E-STOR) an Volvo Trucks‑Werkstätten in Enfield und Carlisle ermöglichen Hochleistungs‑Ladepunkte trotz Netzüberlastung (2024).
  • Jaguar Land Rover & Wykes Engineering (UK): Einsatz eines Second‑Life‑BESS mit 2,5 MWh (geplant Ausbau auf 7,5 MWh) aus Jaguar I‑Pace‑Batterien.
  • Toyota & Tepco (Japan): Entwicklung eines Second‑Life‑BESS mit EV‑Batterien zur Integration in einen Windpark.
  • US Department of Energy (DOE) – Texas, USA: Förderung (US$ 7,9 Mio.) für ein 50 MWh Second‑Life‑BESS im Ercot‑Markt
  • Moment Energy (Kanada): abgeschlossene Series‑A‑Finanzierung (US$ 15 Mio.) für Aufbau einer Second‑Life‑“Gigafactory” (BESS-Ausbau aus gebrauchten EV‑Batterien).
  • Solar- & Second‑Life‑Ladestation nahe Bengaluru Airport (Indien): Im Juni 2025 wurde Indiens erste öffentliche Ladestation für Elektrofahrzeuge eröffnet, die Solarstrom mit einem Second‑Life‑BESS kombiniert.

Daten & Fakten

Kreislaufprinzipien: Repair, Refurbish, Remanufacture, Recycle | Fraunhofer IWU: KI-gestützte, automatisierte Demontage von Motoren und Batteriesystemen | Fraunhofer IWKS: Rückgewinnung von Neodym-Magneten, ZDR-EMIL als Kompetenzzentrum | Fraunhofer IFAM: State-of-Health-Analyse für Batterien, Grundlage für Upcycling | Fraunhofer ISE: Thermomanagement und Integration von Second-Life-Batterien in Schnellladenetze | Renault Advanced Battery Storage: 4,7 MWh in Douai, geplanter Ausbau auf ~50 MWh, größte Anlage ihrer Art in Europa