In einem Gespräch mit DI Daniel Herbst von der TU Graz ging die SmartGyver-Redaktion der Antwort auf die Frage auf den Grund, ob Elektrofahrzeuge (EVs) herkömmliche Kraftwerke ersetzen können. Hierbei kamen Technologien wie Vehicle-to-Grid (V2G) und Vehicle-to-Home (V2H) ins Spiel, bei denen Elektroautos ihre gespeicherte Energie ins Stromnetz bzw. in ein Gebäude zurückspeisen.
Grundlagen der Berechnung: Aus öffentlich zugänglichen Quellen geht hervor, dass das größte Pumpspeicherkraftwerk Österreichs – die Malta-Hauptstufe – jährlich 715 Millionen kWh Energie produziert. Damit könnten knapp 240.000 Haushalte ein Jahr lang mit Strom versorgt werden (bei einem durchschnittlichen Stromverbrauch von 3.000 kWh pro Jahr). Um diese Menge durch die in den Batterien von Elektroautos gespeicherte Energie zu ersetzen, wären nach der Berechnung von Herbst rund 300.000 Fahrzeuge erforderlich. Jedes Fahrzeug müsste dabei über eine Batterie mit 60 kWh Kapazität verfügen, wovon 20 % für das Netz bereitgestellt werden könnten. Dies liegt einerseits daran, dass Hersteller die Nutzung der Batteriekapazität beschränken, um die Lebensdauer zu verlängern. Andererseits wird auch angenommen, dass Fahrzeugnutzerinnen und -nutzer nur einen gewissen Anteil ihrer EV-Batteriekapazität zur Rückspeisung zur Verfügung stellen werden.
Herausforderungen: Zu den weiteren Annahmen der Berechnung des Experten für Elektrische Anlagen und Netze der Technischen Universität Graz zählen, dass die Elektroautos nicht unbegrenzt, sondern pro Jahr 200-mal Energie ins Netz einspeisen und jedes Auto maximal 5 kW Leistung liefern kann – letztere Einschränkung ergibt sich aus der Hardware vieler aktueller EV-Modelle. Wenn somit 300.000 Fahrzeuge gleichzeitig 5 kW liefern, ergibt das eine Gesamtleistung von 1,5 GW.
In der Praxis gibt es allerdings noch eine weitere Einschränkung: Laut DI Herbst würden höchstwahrscheinlich auch nie all diese Fahrzeuge gleichzeitig einspeisen. Mit der Annahme, dass nur etwa ein Fünftel der Elektroautos zum selben Zeitpunkt ins Netz rückspeisen, würde sich dabei eine Leistung von etwa 300 MW ergeben. Zudem ist ungewiss, ob diese Einspeisung immer genau dann stattfindet, wenn sie benötigt wird.
Leistung versus Energie: Herbst betonte außerdem, dass ein klarer Unterschied zwischen der gesamten Energiemenge (kWh) und der maximalen Leistung (kW) besteht. Das Pumpspeicherkraftwerk Malta-Hauptstufe hat eine Spitzenleistung von 730 MW. Um diese durch Elektrofahrzeuge zu erreichen, wären 146.000 Fahrzeuge erforderlich, die gleichzeitig jeweils 5 kW einspeisen. Bei einer Reduktion der Gleichzeitigkeit auf 20 % wären sogar rund 730.000 Fahrzeuge erforderlich.
Schlussfolgerung: Elektrofahrzeuge könnten unter idealen Bedingungen theoretisch ein herkömmliches Kraftwerk teilweise ersetzen. Dies hängt jedoch von vielen Faktoren ab, wie beispielsweise der Bereitschaft der Fahrzeugbesitzerinnen und -besitzer, deren Elektroautos an einem V2G-System teilhaben zu lassen, der technischen Machbarkeit oder Einschränkungen des Stromnetzes. Die Rolle von Elektrofahrzeugen in der Stromversorgung klingt schon vielversprechend, bedarf jedoch noch weiterer Forschung und praktischer Tests.